Musik ist eine universelle Sprache, welche unabhängig von den kulturellen Hintergründen wahrgenommen, gehört und somit letztendlich gefühlt wird.

Die nordindische klassische Musik im Speziellen ist sehr eng mit Empfindungen und Stimmungen verbunden. Angefangen bei den Ragas des Tagesbeginns, welche förmlich die Sonne vor dem geistigen Auge des Zuhörers aufgehen lassen, über Ragas der trägen, hitzegetränkten Nachmittagszeit bis hin zu romantischen Abendragas werden bei jedem Raga ganz bestimmte Eigenheiten fühlbar.

Ein Raga ist dabei nicht nur eine definierte Tonskale, vielmehr wird aufgrund der unterschiedlichen Gewichtung der einzelnen Töne und ganz typischer Tonverbindungen und Verzierungen das jeweilige Stimmungsbild hervorgerufen.

Diese Musikform ist zudem fast gänzlich improvisiert. Daher ist der Musiker nicht nur Interpret, sondern nimmt zugleich während der Aufführung auch eine kompositorische Rolle ein. Dieser Umstand ermöglicht es dem Darbietenden auf den Moment und seine spezifische Stimmung einzugehen. Gerade daraus ergibt sich auch, dass besonders erfahrene Künstler erst kurz vor dem Auftritt den dargebotenen Raga auswählen, um somit die Atmosphäre des Augenblicks mit der Musik einzufangen und weiter auszumalen.

 

Nach dem Stimmen der Instrumente werden dem Zuhörer im langsamen freirhythmischen Einleitungsteil (alap) die Töne und typischen Melodiebewegungen vorgestellt und der fühlbare Kontakt mit dem Raga entsteht. Der Interpret entfaltet diese Melodien mit verschiedenen Ornamenten und Verzierungen entsprechend des gewählten Ragas. Danach wird ein regelmäßiger rhythmischer Puls (jor) spürbar,  mit welchem den Verzierungen und Melodieläufen im weiteren Fortschreiten längere und größere Spannungsbögen verliehen werden können.

Sobald die Komposition im gewählten langsamen Rhythmuszyklus (vilambit) erklingt, stimmt das Rhythmusinstrument, zumeist die Tabla, ein. Melodieinstrument und Rhythmusinstrument improvisieren abwechselnd um sich nach kürzeren oder längeren Passagen wieder gemeinsam auf der ersten Zählzeit des Zyklus zusammenzufinden.

Es folgt eine Komposition im schnellen Tempo (drut), welche unter mehrfacher Steigerung des Tempos in einem ekstatischen Finale (jhala) endet.

Während der gesamten sich steigernden Darbietung ist die Atmosphäre des Ragas im Fokus der Musiker und unterschiedliche Stilelemente, Verzierungen und Techniken werden verwendet um seinen Gemütszustand fühlbar zu machen.

 

Um das Stimmungsbild eines Ragas einzufangen, entsteht auf Basis der Improvisation mit gleichzeitiger Verknüpfung von bestimmten Regeln eine große Freiheit und Individualität im Bezug zum Augenblick, wodurch jedes Konzert ein besonderes Erlebnis ist.